Kann man Freiheit übersetzen? Übersetzung als Form der anti-kolonialen Identitätsfindung in Anette Hugs Wilhelm Tell in Manila (2016)
Adriana Costa
Der Roman Wilhelm Tell in Manila (2016) von Anette Hug führt uns in die Welt des philippinischen Nationalhelden José Rizal zur Zeit des 19. Jahrhunderts: ein politisch aktiver Augenarzt, der in Deutschland beschließt, Friedrich Schillers Wilhelm Tell in seine Muttersprache Tagalog zu übersetzen. Dieses tapfere Unterfangen ist der Ausgangspunkt für eine kulturelle Identitätsreise im Kontext der anti-kolonialen Bewegung auf den Philippinen.
Anette Hug schildert in ihrem Roman den Übersetzungsprozess, bei dem Konzepte wie Freiheit und Unabhängigkeit den Skopos (Vermeer, 1989) für José Rizals Version von Wilhelm Tell bilden. Dabei wird bewusst, wie literarische Texte unterschiedlichen kulturellen Realitäten, d.h. einer bestimmten Zielkultur, angepasst werden können, wenn sie vom ideologischen Standpunkt aus Gemeinsamkeiten besitzen, entsprechend ersichtlich am Widerstand gegen den Vogt Gessler und gegen den spanischen Kolonialherren. Daraus ist zu schließen, dass das Bestreben um Menschrechte und Gleichberechtigung kulturell transversal und in jede Sprache übertragbar ist.
In unserer kurzen Präsentation werden wir versuchen darzulegen, wie in diesem Roman die Konzepte Transkulturalität (Welsch, 2010) und Antikolonialismus im Zusammenhang mit Rizals Übersetzungsarbeit eine zentrale Rolle spielen, wobei Parallelen zwischen den Freiheitskämpfen in der Schweiz (14. Jhd.) und in Manila (19. Jhd.) gezogen werden..
Deutsche Liebeslyrik des Mittelalters verstehen – methodische Ansätze anhand einer portugiesischen Übersetzung
José Carlos Teixeira
Es ist wohl unstrittig, dass die Literatur des Mittelalters allgemein einen großen Einfluss auf das Denken Europas hatte. Einer der wichtigsten Teile der mittelalterlichen Literatur ist die Liebeslyrik des 12. und 13. Jahrhunderts: Während es in Portugal und Spanien den sogenannten ‚Trovadorismo‘ gab, hatte man in Deutschland den ‚Minnesang‘. Die Verbindung zwischen beiden Traditionen ist offensichtlich und kann außerdem erklären, welche Beziehungen es damals zwischen den drei Ländern gab. Trotz der bedeutenden Rolle dieser Verbindung ist sie noch kaum erforscht. Der Grund dafür ist wahrscheinlich mit sprachlichen Hindernissen zu erklären: Um eine solche Analyse vorzunehmen, muss man sowohl die galizisch-portugiesischen Texte, als auch die auf Mittelhochdeutsch lesen können. Da ich die deutsche Liebeslyrik des Mittelalters als Mitglied der portugiesischen Akademie erforschen möchte, repräsentiert eine neue kommentierte Edition des ‚Minnesangs‘ mit einer Übersetzung ins Portugiesische eines der wichtigsten Ziele meiner Doktorarbeit. Weil solche Erzählungen als Kulturphänomene betrachtet werden, sind viele Begriffe aufgrund kultureller und linguistischer Einschränkungen nicht mehr übersetzbar. Das Ziel dieses Vortrags ist deshalb, die Methode meiner Arbeit zu präsentieren, damit klar wird, wie man alte Texte mit schon verlorenen Wörtern übersetzen kann: Wie treu soll man dem Text bleiben, um eine solche Übersetzung zu schaffen? Inwiefern kann man Begriffe übersetzen, die schon in der Kultur (sowohl auf Neuhochdeutsch als auch Portugiesisch) verloren gegangen sind? Welchen methodischen Ansatz soll man in solchen Fällen benutzen? Und wie kann man in dieser deutsch-portugiesischen Konstellation mit Texten des Mittelalters umgehen? Dies sind einige der Fragen, die ich beantworten möchte.
Der Tod und das Medium.
Wie das Buch der Chroniken in Text und Bild die Zeit erzählt
Paul Gross
Untersucht der Mensch die Zeit, erscheint ihm zweierlei: Externes und Internes. Die Verschiebung der Sinneskonstellation oszilliert mit dem Gezeitenstrom einer inneren Stimme. Dieses Wechselspiel sorgt für immense definitorische Probleme, und das weniger weil beide Aspekte traditionell in dasselbe begriffliche Korsett gezwängt werden, sondern eher aufgrund der Tatsache, dass kaum eine Darstellung die Zeit überhaupt vom Raum zu trennen vermag. Die menschliche Wahrnehmung ist eine raumzeitliche. Und um die vierte Dimension zu erklären, stehen ausschließlich dreidimensionale Mittel zur Verfügung. Meine Forschungsarbeit widmet sich dem Buch der Chroniken von 1493 und sondiert damit einen besonders vielschichtigen medialen Raum aus Text und Bild. Im ersten Teil der Arbeit werden ihm die Elemente spätmittelalterlicher Zeitkomposition abgewonnen. Der zweite Teil verwendet sie zur ausführlichen erzählwissenschaftlichen Analyse der Todesdarstellung.
Mutterfiguren der deutschen Literatur des Mittelalters
Mafalda Sofia Gomes
In der deutschen Literatur des Mittelalters spielen die Mütter scheinbar eine unwesentliche Rolle. Nichtsdestotrotz sind Figuren, die einen Mutter-Status inne haben,
häufig zu finden (Ute und Kriemhild in Das Nibelungenlied, Herzeloyde im Parzival, die Königin im Eneasroman, die Königin Isolde im Tristan, usw.). In meinem Promotionsprojekt wird versucht, die Besonderheiten ihrer Figuration zu untersuchen und die Funktionen, die sie in verschiedenen Werken des XII. und XIII. Jahrhunderts besitzen, kritisch zu hinterfragen. Dafür werden wir uns der historischen Narratologie als Methode bedienen, mit der sich die kulturellen Voraussetzungen, die so bedeutend für das Verständnis der mittelalterlichen Texte sind, erforschen lassen. Da Mutterschaft als Bereich der Analyse ein kulturabhängiges Phänomen ist, ist es besonders fruchtbar, den historischen Aspekt zu beachten. In diesem Zusammenhang werde ich mich auf das Beispiel des Herzeloyde aus dem Parzival von Wolfram von Eschenbach konzentrieren.[:]
Dep. Estudos Germanísticos e Eslavos ELACH